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Горе от ума

(1822)

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Verstand schafft Leiden Verstand schafft Leiden
Personen.Personen.
Fámussoff, Chef einer Kronsbehörde.

Sophie, dessen Tochter.

Tschátzki, ihr Jugendfreund.

Moltschálin, Fámussoff’s Sekretair und in dessen Hause wohnend.

Lisette, Sophiens Kammermädchen und Vertraute.

Oberst Scalosúb.

Platón Góritscheff.

Natalie, dessen junge Frau.

Repetíloff.

Sagorétzki.

Mad. Chlestow, Fámussoff’s Schwägerin.

Die Gräfin Chrumin.

Deren Enkelin, eine unverheirathete Dame.

Fürst Tugoúchoffski.

Die Fürstin, dessen Gemahlin.

Die erste, zweite, dritte, vierte, fünfte, sechste Fürstliche Töchter.

Herr N.N.

Herr D.

Gäste beiderlei Geschlechts, Diener, Lakeien &c.

Das Stück spielt in Moscau, im Hause Fámussoff’s, etwa zehn Jahre nach dem französischen Kriege.

Erster Akt.

Saal mit einer Mittel- und einer Seitenthür, die zu Sophiens Zimmer führt. Neben der Mittelthür steht eine hohe Wanduhr. Man hört anfänglich die Töne einer Flöte und eines Klaviers. Es ist früher Morgen.

Erste Scene.

Lisette

(Ist mitten im Zimmer auf einem Stuhl eingeschlafen. Sie erwacht, steht auf und sieht sich erstaunt um).

Es tagt? Wie schnell ist doch die Nacht vergangen!

Ich wollt zu Bett gehn gestern Abend — Nein!

Es hieß — Die Augen auf und schlafe ja nicht ein!

„Der Freund kommt her,“ erhalt dich munter,

Und fielst du auch vom Stuhl herunter!

Nun schlief ich eben ein, da fängt es an zu tagen; —

Ich muß es ihnen gleich nur sagen,

Die merken es sonst nie!

(Sie klopft an die Seitenthür.)

Nun meine Gnädigsten?! — Fräulein Sophie!

Ihr Abend dauert bis zum hellen, lichten Tage;

Ums Himmelswill’n, so hören Sie doch was ich sage!

Mein Fräulein! Herr Moltschálin! Sind Sie taub?

(Sie geht von der Thür weg.)

Die haben jede Furcht vergessen!

Nun wartet nur, ich glaube fast

Der Alte kommt noch her als ungebetner Gast.

Das ist ein Dienst bei Fräulein — bei verliebten!![1]

(Sie geht wieder zur Thür.)

So trennen Sie sich doch! — Es ist ja Morgens früh!

Wie?

Sophie (hinter der Scene).

Wie viel Uhr ist’s?

Lisette.

Das ganze Haus erwacht.

Sophie (wie oben).

Wie viel Uhr ist’s?

Lisette.

Sechs, sieben, acht!

Sophie (wie oben).

Das ist nicht wahr!

Lisette.

O Amor, du verwünschter Wicht!

Es ist doch klar,

Sie hören mich und können

Noch immer sich nicht trennen!

Und warum öffnen sie die Laden nicht?

(Sie wendet sich zur Uhr.)

Ich stell den Zeiger vor; ich weiß, es giebt Verdruß,

Allein ich muß!

Ich lasse alle Glocken spielen,

Denn wer nicht hören will — muß fühlen!

(Sie steigt auf einen Stuhl und stellt die Wanduhr, die zu spielen anfängt.)

Zweite Scene.

Lisette und Famussoff (im Schlafrock, tritt durch die Mittelthür ein, Lisette erschrickt und springt vom Stuhl herunter).

Lisette.

O je, der Herr!

Famussoff.

Der Herr, nun ja!

Du Naseweis — was machst Du da?

(Er hält das Glockenspiel an.)

Ich konnte den Spektakel nicht begreifen;

Das war ein Klingeln und ein Pfeifen!

Sophie — die konnt’s so früh nicht sein;

Bald klang’s wie ein Klavier und bald wie eine Flöte.

Das fiel mir wirklich gar nicht ein,

Daß Du es seist, Du kleine Kröte.

Lisette.

Ich weiß nicht recht, wie es geschehn —

Ich kam daran ganz aus Versehn.

Famussoff.

Ganz aus Versehn? — Vor euch nehm’ man sich nur in Acht.

Du that’st es sicher mit Bedacht.

(Er schäkert mit ihr.)

Du kleiner netter Schelm!

Lisette.

Ein Schelm sind Sie! Ich will das nicht!

Steht Ihnen das wohl zu Gesicht?

Famussoff.

O Tugendheldin, sei kein Kind!

Du hast im Kopf doch nichts als Wind.

Lisette.

Windbeutel selbst! Sie denken nicht daran,

Daß Sie ein alter Mann.

Famussoff.

Nun, ja,

Beinah’!

Lisette.

Und dann

Kommt wer, was fängt man an?

Famussoff.

Wer denn? Sophie schläft.

Lisette.

Erst eben schlief sie ein.

Famussoff.

Erst eben? Und die Nacht?

Lisette.

Das Fräulein las, und hat gewacht.

Famussoff.

Nun sieh’ mal was das für Manieren!

Lisette.

Französisch las sie laut bei festgeschlossnen Thüren.

Famussoff.

Sag ihr, sie soll sich nicht die Augen ruiniren.

Vom Lesen, muß ich frei gestehn,

Kann ich nicht großen Nutzen sehn:

Ihr raubt den Schlummer die französische Lectüre

Und mich — mich schläfert’s fürchterlich,

Sobald ich nur ein russisch Buch berühre.

Lisette.

Wenn sie erwacht, sag’ ich’s Fräulein Sophie,

Doch jetzo, bitt’ ich, gehen Sie!

Famussoff.

Warum?

Lisette.

Sie wecken sie.

Famussoff.

Wodurch sollt’ ich sie wecken?

Selbst läutet sie wahrhaftig zum Erschrecken

Mit ihrer Uhr, und trommelt aus der Ruh’

Die ganze Nachbarschaft mit ihrer Symphonie!

Lisette (sehr laut).

Ach hören Sie doch auf, ich bitte Sie!

Famussoff (hält ihr den Mund zu).

Still doch, so schrei nicht, bist Du ganz von Sinnen?

Lisette.

Ich fürcht’, wenn Sie noch länger bleiben, daß —

Famussoff.

Und was?

Lisette.

Ach Herr, Sie wissen’s doch, Sie sind kein Kind —

Wie leicht erweckt die jungen Mädchen sind,

Kaum geht die Thür, kaum flüstert man ein Wort,

Gleich ist der süße Morgenschlummer fort.

Und Alles hören sie.

Famussoff.

Ach, Alles dummes Zeug!

Sophie (hinter der Scene).

Lisette!

Lisette.

Gleich, mein Fräulein, gleich.

Famussoff.

St! (schleicht auf den Zehen fort.)

Lisette (allein).

Ach Gott, von unsern Herrn

Halt’ man am besten sich recht fern!

In jedem Augenblick ist man gewiß gewärtig,

Daß gleich ein neues Unglück fertig;

O wenn man doch von diesen beiden

Den größten Leiden

Verschont nur bliebe:

Von Herrenzorn und Herrenliebe!

Dritte Scene.

Lisette. Sophie (tritt mit einem Licht aus ihrem Zimmer), Moltschálin (folgt ihr).

Sophie.

Lisette, welch ein Lärm! was fällt Dir ein?

Lisette.

Die Trennung scheint recht schwer zu sein,

Verschlossen bis zum Tag, und doch nicht zur Genüge!

Sophie.

Wahrhaftig, es ist Tag!

(Sie löscht das Licht aus) Der Tag

Erschien — und auch der Kummer! — ach!

Wie doch die Nächte schnell vergehn!

Lisette.

Nur zu, Sie mögen sich beklagen,

Allein, das muß ich Ihnen sagen,

Für einen Dritten ists nicht auszustehn!

Der alte Herr war da

Und ich war einer Ohnmacht nah,

Ich wandt’ mich hin und her

Und log ihm vor die Kreuz und Quer.

(Zu Moltschalin) Und Sie, was bleiben Sie denn noch?

So machen Sie Ihren Bückling doch

Nur schnelle!

Das Herz steht nicht an rechter Stelle!

So sehn Sie nach der Uhr! Sie glauben, daß ich spaße!

Die ganze Welt ist längst schon auf der Straße!

Im Haus ist Alles schon erwacht,

Man fegt, in Ordnung wird das Haus gebracht,

Und Sie, Sie stehn noch da wie angebunden!

Sophie.

Ach Glückliche — die zählen nicht die Stunden!

Lisette.

Nur immer zu! Ei sicherlich

Ist’s angenehm, die Zeit sich zu versüßen;

Allein wer anders wohl als ich

Wird noch zuletzt für Alles büßen?

Sophie (zu Moltschálin).

So gehen Sie, wir müssen scheiden

Und einen ganzen Tag voll Langerweile leiden.

Lisette.

So lassen Sie die Hände doch nur fahren!

(sie trennt sie) Nun endlich, — laß uns Gott bewahren!

(Moltschálin geht ab; wie er bei der Mittelthür ist, öffnet sie sich und Famussoff tritt angekleidet herein, er bleibt stehn und sieht Moltschálin verwundert an.)

Vierte Scene.

Die Vorigen. Famussoff.

Famussoff.

Was tausend ist denn das? Sind Sie es wirklich?

Moltschálin (sehr verlegen).

Ja!

Famussoff.

Zu dieser Stunde hier?

(erblickt Sophie) Und auch Sophie? Ei guten Morgen

Sophie, Du bist auch da?

Was hast Du hier zu sorgen?

Wie hat Euch Gott zu dieser Stunde

So wunderlich zusammen hier gebracht?

Sophie.

Er kam herein in diesem Augenblick —

Moltschálin.

Von einer Promenade erst zurück

Trat eben ich ins Haus.

Famussoff.

Freund, hören Sie, es könnt nicht schaden,

Sie suchten sich zu Morgenpromenaden

Ein andres Gäßchen aus! —

Ei, Fräulein Tochter, ei, kaum aus dem Bett gesprungen

Zusammen gleich mit einem Herrn,

Mit einem jungen!

Sag, schickt sich das für Mädchen wohl von fern?

Des Nachts liest Du Romane und Gedichte,

Und das sind nun die saubern Früchte!

Das Alles nur kommt von der Schmiedebrücke

Und von den ewigen Franzosen her.

Da holen wir uns Moden, Musen, Dichter

Und ähnliches Gelichter,

Und drum ist Herz und Beutel leer!

Wann wird der Himmel uns erretten

Von ihren Hüten, Hauben, Ketten —

Von ihren Salben und Pomaden

Und den Bisquit und Bücherladen!!

Sophie.

Verzeihen Sie! Ich bin schon ganz benommen,

Und kann vor Ueberraschung nicht zu Athem kommen.

Sie traten ja so rasch und plötzlich ein —

Wie sollt’ ich nicht erschrocken sein?

Famussoff.

Ich danke ganz gehorsamst! — Ei wie fein!

Ich lief, ich hab’ erschreckt, ich kam so plötzlich!

Nicht wahr, das war von mir entsetzlich?

Ich, Fräulein Tochter, hab’ den ganzen Tag zu thun,

Da ist kein Rasten und kein Ruh’n;

Der Kopf ist mir vom Dienste wie benommen,

Es ist ein ew’ges Gehn und Kommen,

Und ich — auf dem schon Alles liegt,

Konnt ich erwarten, daß man mich betrügt?

Sophie (in Thränen).

Wie so mein Vater?

Famussoff.

Nicht geweint!

Gieb Acht, was ich Dir sage; freilich meint

Man immer, daß ich ohne Ursach schelte,

Doch, hör’ mich an, wenn ich Dir noch was gelte;

Man that von deiner Wiege an

Für Dich, was man nur irgend kann. —

Die Mutter starb; ich hatt’ die glückliche Idee

Und nahm in der Madame Rosier

Dir eine zweite Mutter dann

Für eine starke Gage an.

Die goldene Alte — folgte deinen Tritten —

Klug war sie, sanft, von tadellosen Sitten; —

— Wenn Eins nur nicht gewesen wär’!

Eins habe ich ihr sehr verdacht:

Durch nur fünfhundert Rubel jährlich mehr

Ward sie uns abspenstig gemacht! —

Doch lassen wir Madam’ — an der da lag es nicht.

Was brauchst Du anderer Exempel?

Mein Haus gleicht einem Tugendtempel,

Des Vaters Beispiel lehrt Dir Pflicht!

Da — schau mich einmal an!

Ich sage nicht, ich sei ein junger Mann

An Jahren, —

Doch bin ich frisch bei meinen grauen Haaren,

Dazu bin ich doch Wittwer, bin doch frei,

Herr meiner Handlungen dabei!

Und dennoch leb’ ich so, daß jeder, der mich kennt,

Mein Leben exemplarisch nennt.

Lisette.

Doch dürft’ ich fragen, Herr, wie’s —

Famussoff.

Schweig’!

Ein schreckliches Jahrhundert! —

Allein — was ist man so verwundert,

Daß Alles altklug jetzt und weise vor den Jahren,

Und unsere Töchter ganz voran,

So daß man sie vor Thorheit und Gefahren

Mit Müh’ und Noth kaum schützen kann.

Wir Einfaltspinsel!

Wir haben selbst das Unglück uns gebracht,

Ja! — Die Manie zum fränkischen Gewinsel,

Die fremden Sprachen haben das gemacht.

Landstreicher nimmt man heutzutag ins Haus —

Die Herrchen sollen Alles lehren

Dem Töchterchen — Tanz und Gesang,

Mit Seufzern und mit Seelendrang

Und Ziererei —

Gott steh uns bei!

Man möchte schwören,

Daß wir sie auferziehen traun!

Zu nichts als zu Seiltänzer-Fraun.

(Er wendet sich zu Moltschálin.)

Und nun zu Ihnen, junger Fant: —

So also wird die Güte anerkannt?

Ein schöner Dank!

Bedenken Sie doch Ihren Lebenslauf!

Wer hob Sie aus dem Plebs herauf?

Wer schaffte Ihnen den Assessorrang?

Wer machte Sie zum Secretair?

Wer führte Sie nach Moskau über?

Ich war’s — und ohne mich, mein Lieber,

Versauert wären Sie in Ihrem Twer!

Sophie.

Wozu, mein Vater, zählen Sie das her?

Wozu der Streit —

Um eine Kleinigkeit?

Moltschálin wohnt im Hause hier —

Er tritt herein und irrt sich in der Thür.

Famussoff.

Er irrt’ sich, oder wollte er sich irren?

Wie aber kam’st denn Du zu gleicher Zeit herein?

Das kann nicht bloßer Zufall sein.

Sophie.

Sie sollen das sogleich erfahren:

Als Sie hier erst mit Lisa waren

Hat Ihr Gespräch mich aus dem Schlaf erweckt,

Und darum rannt’ ich her, ganz ungemein erschreckt.

Famussoff.

Am Ende kommt’s heraus, daß mir die Schuld gehört,

Ich habe sie, wie’s scheint, zur Unzeit hier gestört!

Sophie.

Die größte Kleinigkeit, ein Wort — geflüstert kaum —

Kann aus unruh’gem Schlaf mich wecken;

Wenn ich erzählte meinen Traum,

Verständen Sie auch meinen Schrecken.

Famussoff.

Ein neu Histörchen?

Sophie.

Was ich sah’

Im Traum, soll ich’s erzählen?

Famussoff.

Nun, ja, ja! (er setzt sich.)

Sophie.

Ja — sehen Sie — ich stand von Blumen rings umblüht

Auf einer Flur — und war bemüht

Ein Kraut zu suchen; — müht’ mich sehr —

Doch welch ein Kraut es war, das weiß ich jetzt nicht mehr;

Da, — plötzlich — tritt ein junger Mann

Zu mir heran!

Ganz offenbar gehörte er zu Denen,

An die wir uns beim ersten Blick gewöhnen,

Und so — als wären wir von Ewigkeit bekannt.

Wir wurden ganz vertraut, — er war gewandt,

Einschmeichelnd, und er zeigte viel Verstand,

Doch war er schüchtern — wie — Sie wissen alle sind

Die arm geboren.

Famussoff.

Halt mein Kind,

Um’s Himmelswill’n geh weiter nicht,

Für Dich passt doch kein armer Wicht!

Sophie.

Doch schnell war Himmel, so wie Flur verschwunden;

Wir haben plötzlich uns

In einem dunklen Raum gefunden,

Und denken Sie, wie wunderbar!

Der Boden öffnet sich — und Sie mit struppigem Haar,

Blaß wie der Tod — Sie steigen draus empor.

Nun riß sich donnernd auf ein Thor,

Und Ungeheuer, weder Mensch noch Thier,

Ergriffen ihn, der neben mir.

Sie quälten ihn, der all mein Lebensglück —

Ich will zu ihm — sie halten mich zurück —

Geschrei und Röcheln, wie ein Höllenchor

Trifft mit Gewalt mein banges Ohr —

Er ruft mir aus der Weite — fern,

Ich will zu ihm so gern, so gern —

Da wach’ ich auf! man spricht — es waren Sie!

Wie — denke ich — der Vater hier so früh?

Ich eile her und find’ Sie alle beide. —

Famussoff (nach einer kurzen Pause).

Ja freilich, dieser Traum war schlecht;

Da ist so allerlei, betrachtet man ihn recht,

Ein bischen Lüge, ohne Zweifel

Und Liebe, Blumen, Schreck und Teufel!

(Zu Moltschalin) Doch Sie Mosje?

Moltschálin.

Ich hörte Ihre Stimme, —

Famussoff.

Nun das ist gut! —

Was doch so eine Stimme thut!

Sie haben Alle sie gehört

Und sind vor Tagesanbruch aufgestört,

Sie suchten also mich? Was kann Sie zu mir führen?

Moltschálin.

Ich komme mit Papieren. —

Famussoff (springt auf).

Dacht’ ich’s doch,

Das fehlte mir gerade noch!

Mein Gott, Sie sind ja wie versessen

Mit Einemmal auf Schreiberein?

(Zu Sophie.)

Nun, Töchterchen, wir wollen das vergessen!

Zwar können Träume seltsam sein,

Doch in der Wirklichkeit hört man von Dingen,

Die oft viel seltsamer noch klingen,

Als das, was uns im Traum erscheint.

Statt eines Kräutleins fand’st Du einen Freund,

Doch schlage Dir das dumme Zeug

Nur aus dem Sinne gleich.

Das Wunderliche hat nur selten Sinn,

Drum geh’ hinein und leg’ Dich wieder hin.

(Zu Moltschálin.)

Wir wollen gehn

Um die Papiere durchzusehn.

Moltschálin.

Ich bracht’ sie eben dazu her,

Denn sie bedürfen dessen sehr:

Sie widersprechen sich und sind nicht in der Form.

Famussoff.

Herr Sekretair — das nehmen Sie zur Norm:

Eins fürcht’ ich wie die Pest —

Wenn man sich Schriften häufen läßt.

Doch würdet Ihr nur Euren Willen haben,

Man säße in Papier begraben.

Drum merken Sie sich dieses Wort:

Was unterzeichnet ist, muß fort!

Ob’s richtig, ob es falsch auch sei,

Mir einerlei! —

(Gehen ab, an der Thür läßt Famussoff den Moltschálin vorangehen).

Fünfte Scene.

Sophie. Lisette.

Lisette.

Da haben Sie’s! Das sind die Früchte!

Nun, eine saubere Geschichte!

Doch Scherz bei Seit’, das war’ nicht gut,

Ich bin ganz hin und mir ist schlecht zu Muth.

Ein Fehler ist ja doch nicht „alle Welt“ —

Doch schlimm ist’s, wenn die Leute davon reden.

Sophie.

Mir einerlei, frei steht das einem jeden,

Und schwatzen mag er, wie es ihm gefällt.

Allein, der Vater wird uns was zu schaffen machen;

Er ist so heftig und so rauh in solchen Sachen,

Und so war’s immer,

Allein von jetzt an wird’s gewiß noch täglich schlimmer.

Lisette.

Ich seh’s ja; es ist Gott zu klagen!

Ich urtheil’ nicht nach Hörensagen;

Drum — denken wir an alle Fälle:

Sperrt er Sie ein und bleib’ ich nur zur Stelle,

So steht die Sache immer noch ganz gut,

Doch, Gott bewahr’, wollt’ er in seiner Wuth

Mich und Moltschálin aus dem Hause jagen

Dann wären Sie doch wirklich zu beklagen!

Sophie.

Sieh’, ist das Schicksal nicht voll Eigensinn!

Was Schlimmres geht uns oft so hin,

Und schlimm geht’s wo wir gar nichts ahnen!

Sanft floß die Zeit in dem Genuß der Kunst,

Wir standen — schien’s — beim Schicksal recht in Gunst,

Nicht Bangen noch Besorgniß fühlten wir,

Und sieh’ — das Unglück saß schon vor der Thür!

Lisette.

Das kommt davon! — Sie haben leider nie

Auf mich gehört und nun — nun sehen Sie! —

Was braucht es besserer Propheten?

Sie müssen dies Gefühl in Ihrem Herzen tödten.

Ich sage Ihnen: hier auf Erden

Wird draus in Ewigkeit nichts werden!

Ihr Vater ist gerade so gesinnt

Wie’s Alle hier in Moskau sind:

Zum Schwiegersohne hätt’ er einen gern

Mit hohem Rang und Ordensstern;

Doch trotz der Sterne und der Ränge

Ist mancher dennoch in der Enge,

Drum sucht er Ihnen auch noch einen reichen Mann,

Der Aufwand macht und Bälle geben kann;

Zum Beispiel: Scalosub gehört zu dieser Zahl —

Ein Sack mit Gold gefüllt und nächstens General.

Sophie.

Das wäre schön! Ein solcher fehlt mir g’rade!

Er kennt ja nichts als Reih’n und Fronten und Parade.

So ein Kamaschenheld!

Aus seinem Mund, so lang er auf der Welt

Kam nie ein kluges Wort;

Geh’ mir mit Deinem Oberst fort!

Ins Wasser springen — ihn zum Ehgemahl,

Das wär’ mir beides gleich fatal.

Lisette.

Nun ja, er schwatzt und hat das Pulver nicht erfunden,

Doch sagen Sie mir unumwunden:

Wer hier wohl von Civil und Militair

Beredter, witziger und feiner wär

Als Tschatzki — nun — ich wollte Sie nicht necken —

Das ist nun längst vorbei, Gott weiß, wo er mag stecken —

Doch die Erinnerung —

Sophie.

Oh, ich erinnere mich:

Die Leute zu verspotten wußt’ er meisterlich!

Er amüsirte mich — er wußte Spaß zu machen;

Mit jedem kann man ja zusammen lachen.

Lisette.

Nur lachen? Ach, als er hier Abschied nahm,

Schwamm er in Thränen ganz, als er von Ihnen kam.

Ich sprach ihm zu: Was weinen Sie denn so?

Sie reisen doch und sind nicht froh!

„Ich weine, Lischen, nicht umsonst“ sprach er,

„Die Trennung fällt mir, ach, so schwer!

„Kehr ich zurück, was steht mir dann bevor,

„Wer weiß zu sagen wohl, was ich alsdann verlor!“

Der arme Herr, ihm ahnt’, daß in drei Jahren —

Sophie.

Du könntest besser Deine Zunge wahren!

Ich geb’ es zu, daß ich vielleicht

Ihn allzuschnell vergessen;

Leicht handelt’ ich — indessen

Sag mir frei,

Wem brach ich je die Treu’?

Mit Tschatzki — freilich — bin ich auferzogen,

Wir waren uns als Kinder recht gewogen,

Beisammen stets, zu allen Stunden,

Und durch Gewohnheit schon verbunden.

Doch später endete der Frieden,

Es kam mir vor, als hätt’ er uns gemieden.

Es schien ihm hier nicht zu behagen,

Und selten kam er noch ins Haus —

Dann kam er plötzlich wieder — führte Klagen

Und sah verliebt und melancholisch aus.

Er war von Witz und Schwermuth die Vereinung,

Und scharf war für die Schwächen Anderer sein Blick;

Doch hatt’ er in der Freundschaft sehr viel Glück

Und drum von sich die höchste Meinung.

Und wie veränderlich war nicht sein Sinn!

Die Lust zu reisen riß ihn plötzlich hin.

Ach, wer uns wirklich liebt, der sucht nicht weiter Geist

Und bleibt so lang nicht fort!

Lisette.

Wo ist er hingereist?

In welchem Land, an welchem Ort?

Man sagte er curirt sich auf den Wässern;

Krank ist er nicht —

Er mögte wohl die Laune sich verbessern.

Sophie.

Gewiß, dort ist er froh, wo Lächerliche sind!

Der, den ich liebe, ist nicht so gesinnt;

Der opfert sich für Andere mit Freuden,

Stets artig ist er, stets bescheiden.

Respectvoll ist er, niemals kühn —

Verwegen sah ich niemals ihn.

Er nimmt die Hand mir, drückt sie dann und wann

An’s volle Herz;

Dann seufzt er, recht aus tiefster Seele —

Allein kein freier Scherz

Kommt über seine Lippen. — Ich erzähle

Die Wahrheit Dir; wir sitzen Hand in Hand

Und blicken uns ins Auge unverwandt.

(Lisette lacht) Du lachst! warum? Sag’, welch ein Grund

Ist hier, aus vollem Halse so zu lachen?

Lisette.

Ach Gott, das Lachen ist gesund;

Ich lachte über andre Sachen:

An Ihre Tante hab’ ich grad gedacht,

Und über sie hab’ ich gelacht:

Der Schmerz der Guten war so tief,

Als der Franzose von ihr lief;

Das Täubchen wollte vor Verzweiflung sterben,

Ihr Haar zu färben

Vergaß sogar die arme Frau

Und in drei Tagen — war sie grau!

(Sie lacht.)

Sophie (verdrießlich).

Solch dummes Zeug wird man von mir auch sagen!

Lisette.

Verzeihen Sie, das wird wohl Niemand wagen,

Ich hatte mir nur vorgenommen

Nach so viel ärgerlichen Dingen

Zum Lachen etwas Sie zu bringen.

Sechste Scene.

Die Vorigen. Ein Diener.

Diener.

Herr Tschatzki ist so eben angekommen.

(Ab.)

Siebente Scene.

Die Vorigen. Tschatzki.

Tschatzki.

Kaum tagt’s — und ich bin da und lieg’ zu Ihren Füßen!

(Küßt ihr die Hand mit Feuer.)

Was giebt’s? Sie wollen mich nicht wieder küssen? —

Sie haben mich erwartet? Nicht?

Sind sie erfreut? — Ach nein! — Sehn Sie mir ins Gesicht!

Sie sind verwirrt! — Nichts mehr? — Welch ein Empfang?

Als ob die Trennung keine Woche lang!

Als ob wir gestern uns zu zweien

Auf’s schrecklichste gelangweilt hätten.

Kein Fünkchen Liebe, wie? Und ich — der hundert Meilen

Durchflog in Sturm und Wetter ohne Weilen —

Ich, voller Sehnsucht und mit Herzensbeben —

Ich stürme her auf Tod und Leben —

Wie oft warf nicht der Schlitten mit mir um —

Nicht schloß mein Auge sich in fünf und vierzig Stunden,

Und die Belohnung hat mein Heldenmuth gefunden!

Sophie.

Ach Tschatzki, wie mich’s freut, Sie wieder hier zu sehn!

Tschatzki.

Sie sind erfreut? Ei das ist schön!

Doch muß ich aufrichtig gestehn:

Die Freude pflegt wohl anders auszusehn!

Mir scheint es fast zuletzt,

Als ob mein Jagen

Und Pferd- und Leute-Plagen

Mich wohl nur ganz allein ergötzt!

Lisette.

Wenn Sie gelauscht doch an der Thür —

Bei Gott, vor fünf Minuten sprachen wir

Von Ihnen noch! Das Fräulein wird es sagen!

Nicht wahr? Hier sprachen wir, in diesem Zimmer?

Sophie (ironisch).

Und nicht nur jetzt, nein — immer!

Sie haben keinen Grund zu klagen,

Denn Niemand konnt’ vom Ausland kommen,

Den ich um Nachricht nicht befragt:

Ob er von Ihnen nichts vernommen?

Doch Niemand hat mir was gesagt.

Wer nur besuchte unser Haus,

Selbst Weltumsegler fragt’ ich aus,

Ob man Sie nicht gesehen hätte

In — irgend einer Postcarette!

Tschatzki.

Schon gut, es mag drum sein!

Beglückt wer glaubt, ihm geht es wohl auf Erden! —

Mein Gott! So ist es wahr, daß ich zurück!

Daß ich durchflog so weite Räume!

Daß ich Sie fand, doch nicht den alten Blick

Aus jener Zeit der Jugendträume?

Wo sind die Stunden hin, wo wir noch spielten

Und nichts als Lust im Busen fühlten!!

Hier pflegten wir uns zu verstecken,

Das war ein Lärmen, war ein Necken;

Wir sprangen über Stuhl und Bett —

Ihr Vater spielte dort Piquet

Mit Ihrer alten, guten Bonne,

Und in dem dunkeln Winkel — hier —

Da saßen oft als frohe Kinder wir,

Und schreckten auf beim Knarren jeder Thür;

O Kinderzeit, o Zeit der Wonne!

Sophie.

Ja — Kinderei’n!

Tschatzki.

Ja, Zeiten die da waren!

Sie wuchsen auf! — Mit siebzehn Jahren

Sind Sie jetzt unvergleichlich schön,

Und wissen es, das müssen Sie gestehn,

Und darum schau’n Sie sittsam Niemand an.

Sind Sie verliebt? Und wär’s mein Tod,

O, sagen Sie es schnell! Sie werden roth?!

Sophie.

Wer würde nicht verlegen werden

Bei solchen Fragen und Geberden?

Tschatzki.

So bitt’ ich Sie, mir doch zu sagen:

Wonach sollt’ ich in Moskau sonst wohl fragen?

Es herrscht doch stets das alte Einerlei;

Ein Ball ist heute, morgen zwei.

Der feiert Hochzeit, einem ist’s gelungen —

Ein andrer hat sich einen Korb errungen.

Die alte, ewige Geschichte,

Und in den Stammbüchern die nämlichen Gedichte! —

Sophie.

Das arme Moskau! Ja, das kommt vom Reisen her!

Wo ist das Wunderland, wo es denn besser wär?

Tschatzki.

Wo wir nicht sind! — Ach sagen Sie mir doch:

Was macht Ihr Vater? Ist er noch

Dem Clubb, dem Englischen nach hies’gem Brauch

Stets treu ergeben bis zum letzten Hauch?

Und dann Ihr Ohm, sieht man ihn stets auf Bällen schweben?

Wie? Oder hat er endlich ausgetanzt?

Und Jener, nun, mit dem Zigeunerteint?

Ein Türke oder Griech’ — Sie wissen, wen ich meine —

Er hatte wie ein Storch, so schrecklich lange Beine —

Er war allüberall zu sehen

Auf Bällen und auf Assemblee’n,

Und ganz besonders immer

In jedem Speisezimmer? —

Und dann die drei Lion’s vom Boulevard?

Die jungen Herrn seit funfzig Jahr!

Die Ueberreichen — an Verwandten;

Ich glaube sicherlich,

Daß an der Million nur wen’ge fehlten,

Da sie, durch ihrer Schwestern Hülfe, sich

Verwandt mit ganz Europa zählten. —

Nun dann — und unsere Theatersonne!

Der edle Mann, der keine höhere Wonne

Als Maskarad’ und Schauspiel hat!

Die Worte standen stets auf seiner Stirn geschrieben;

Wo ist der Treffliche geblieben?

Sein Haus war grün gemalt, wie ein Zigeunerlager,

Er war der größte Fettwanst in der Stadt,

Doch seine Künstler waren — mager!

Auf einem Ball bei ihm, da stand,

Erinnern Sie’s? verborgen hinter einer Wand

Ein Kerl dem er befohlen

Zu trillern und zu johlen

Wie eine Nachtigall;

Er sollt’ uns von dem Ball

Wohl in den Lenz versetzen;

Ein herrliches Ergötzen!

Die Nachtigall, die Sängerin der Haine,

Auf einem Ball beim Lampenscheine!

Und Ihr schwindsücht’ger Vetter da, der Bücherfeind,

Der einst in dem gelehrten Comité erscheint

Und mit Geschrei und Eidschwur wollte,

Daß niemand lesen oder schreiben lernen sollte.

Die Alle soll ich wiedersehn!!

Die Plage ist kaum auszustehn. —

Doch Fehl und Flecken

Kann man bei jedem wohl entdecken,

Und wer nach Hause kehret, dem

Ist auch

Der Rauch

Der Heimath süß und angenehm.

Sophie.

Ich säh’ Sie einmal gern mit meiner Tante

Um durchzuhecheln sämmtliche Bekannte.

Tschatzki.

Das Hoffräulein, noch aus Cathrina’s Zeit,

Die ganz Minerva’s Dienste sich geweiht!

Ich glaub’ sie war in ihrem ganzen Leben

Von kleinen Mädchen nur und Möpsen rings umgeben.

Doch à propos! Wie ist denn jetzt die Lehrmethode?

Ist es noch immer Mode

Ein Regiment von Lehrern aufzuweisen,

An Zahl vollauf, doch billigst in den Preisen?

Und nicht, als ob sie viel grad’ brauchten zu versteh’n:

Befohlen ist’s — bei hohen Strafen

Historiker und Geographen

In jedem hergelauf’nen Wicht zu sehn.

Erinnern Sie sich jenes Alten

Der unser Mentor war? Er pflegte so zu halten

Den Zeigefinger ausgereckt —

Fast einem Wegeweiser zu vergleichen, und Rock und Käppchen der Gelahrtheit Zeichen!

Wie oft hat er als Kinder uns erschreckt!

Wie haben wir das oft vernommen,

Nur von dem Ausland könnt’ das Heil uns kommen.

Wie sind wir überzeugt, wir armen Thoren,

Daß ohne Deutsche wir ganz rettungslos verloren!

Und der Franzose Guillaumé

Ganz Luft und Wind,

Knüpft er noch nicht das Band der Eh’

Mit irgend einem schönen Kind?

Sophie.

Mit wem?

Tschatzki.

Nun jede Fürstin, zum Exempel

Die gute Fürstin Julia

Ging’ gern mit ihm in Hymens Tempel.

Sophie.

Tanzmeister ist er ja!

Tschatzki.

Und Ritter! Ja! — Von uns verlangt die Welt

Geburt, Erziehung, Rang und Geld —

Doch Guillaumé ...

Wie ist der Ton denn heut zu Tage?

Herrscht noch das Sprachgewirr, die alte Ohrenplage?

Wird noch — selbst auf der kleinsten Assemblee

Und von den Gästen

Bei Kirchweih-Festen

Französisch stets in Brocken aufgetischt?

Sophie (zerstreut).

Ein Sprachgewirr?

Tschatzki.

Zwei werden wenigstens gemischt.

Lisette.

Nun, nun, es wär’ doch schwer

Aus allen beiden Sprachen

Etwas zu machen,

Was Ihrer Sprache ähnlich wär’.

Tschatzki.

Ei, schwülstig spreche ich doch nie? —

Da haben wir’s — da sehen Sie,

Ich nutze die Minuten!

Durch Ihren Anblick ganz in Gluthen

Kam ich in’s tausendste hinein,

Und gleich läßt man mich schwatzhaft sein.

Doch weiß ich, daß es Zeiten gab

Wo ich verschlossen wie ein Grab,

Wo ich noch ärmer schien an Geist,

Als Ihres Vaters Secretair,

Moltschálin — oder wie er heißt —

Das stille Männchen da aus Twer,

Der stets so artig und geschniegelt!

Hat er sein Schweigen endlich jetzt entsiegelt?

Wo er ein Heft mit neuen Liedchen fand,

War er gleich höflich bei der Hand —

Bat um Erlaubniß sie sich abzuschreiben;

Doch steigen freilich jetzt auch solcherlei Naturen,

Denn heut zu Tage liebt man stumme Creaturen.

Sophie (bei Seite).

O, diese Schlange!

(laut und gereizt) Ach, ich wollt’ Sie fragen:

Ist’s Ihnen wohl passirt, im Ernste oder Scherz

Von Jemand — im Versehn — was Gutes wohl zu sagen?

Wenn auch nicht jetzt, vielleicht in Ihrer Jugend?

Tschatzki.

Was weiß man da von Lastern und von Tugend?

Wozu so weit zurück? Ist es ein schlechter Zug,

Daß ich durch Sturm und Steppen, Tag und Nacht,

Selbst mit Gefahr des Lebens,

Zu Ihnen her den weiten Weg gemacht?

Und Alles, ach, vergebens! —

Wie sind Sie stolz und kalt!

Ich schau’ Sie an seit einer halben Stunde —

Verloren in die liebliche Gestalt —

Und ach, nur stärker blutet meine Wunde!

(Kleine Pause.)

Erlauben Sie mir diese Frage:

Ist wirklich Alles beißend was ich sage?

Und können Sie den Vorwurf auf mich laden,

Als wollt’ ich jemand dadurch schaden?

Wahrhaftig, wenn mein Mund vielleicht auch so gesprochen,

So hat mein Herz doch nichts verbrochen,

Das Wunderliche pfleg’ ich zu belachen,

Doch werd’ ich ein Geschäft daraus mir niemals machen!

Gebieten Sie ins Feuer mir zu gehn

Für Sie, — mit Freuden soll’s geschehn.

Sophie.

Nun gut, — verbrennen Sie!

Doch wenn’s mißlänge? — wie?

Achte Scene.

Die Vorigen. Famussoff.

Famussoff (in der Thür).

Da haben wir’s, da steht der Zweite!

Sophie.

Ach Väterchen, der Traum von heute!

(Geht ab, Lisette folgt.)

Famussoff (bei Seite).

Verdammter Traum!

Neunte Scene.

Famussoff. Tschatzki (sieht Sophien nach).

Famussoff.

Nun sag’, was hast Du denn getrieben?

Wie, in drei Jahren nicht ein Wort geschrieben,

Und plötzlich fällst Du wie vom Himmel nieder!

(Umarmt ihn.)

Nun, sei willkommen Freund, willkommen!

Du alter Junge, Du!

Jetzt haben wir Dich wieder!

Nun, Abentheuer konnten Dir nicht fehlen,

Da setze Dich, und nun mußt Du erzählen.

(Sie setzen sich.)

Tschatzki (nachdenklich).

Wie ist doch Ihre Tochter schön!

Famussoff.

Ihr junges Volk wißt auf nichts anderes zu sehn,

Als darauf, ob die Mädchen schön.

Da hat sie etwas obenhin gesagt,

Was Deiner Eigenliebe gleich behagt;

Doch Hoffnung hat schon oft betrogen!

Tschatzki.

Mich hat sie wahrlich nicht verzogen.

Famussoff.

Der Traum von heute — sagte sie —

Und Du, Du grübelst nach, ich wette,

Was denn Sophie

Geträumt wohl hätte?

Tschatzki.

Ich grüble nicht, es fiel mir niemals ein,

Den Sinn von Träumen auszulegen.

Famussoff.

Freund, traue nicht den Frauen!

Tschatzki.

Nur meinen Augen will ich trauen,

Und das muß offenherzig ich gestehn,

Das Fräulein ist ganz unvergleichlich schön!

Famussoff (bei Seite).

Er ist davon nicht abzubringen!

(laut) Doch sage mir vor allen Dingen:

Wo warst Du denn die ganze Zeit?

Drei Jahre fort, das will was heißen!

Tschatzki.

Unmöglich kann ich jetzt erzählen!

Die ganze Welt wollt’ ich durchreisen

Und kam nicht tausend Stunden weit.

(Steht schnell auf.)

Ich muß jetzt fort — durchaus —

Ich eilte her und war noch nicht zu Haus.

Nach einer Stunde komm’ ich wieder,

Dann setzen wir uns traulich nieder,

An Abentheuern soll es dann nicht fehlen —

Sie können sie dann aller Welt erzählen.

(Im Abgehen zu Sophiens Zimmer gewendet:)

Wie ist sie schön!

(Ab.)

Zehnte Scene.

Famussoff (allein).

Wer ist’s nun von den Zwei’n?

„Ach Väterchen, der Traum trifft ein,“

Und sagt’s mir laut! Ei, ei, ich muß gestehn

Ich habe mich versehn!

Ich habe einen Bock geschossen,

Und auf Moltschálin meine Galle erst ergossen,

Doch jetzt heißt’s: Aus dem Regen in die Traufe! —

Der ist ein Bettler, der als Seladon bekannt

Und als ein Muthwill und Verschwender

Bei Jung und Alt im ganzen Land! —

Was machen uns — Herr du Gerechter! —

Für Plagen doch erwachs’ne Töchter!

(Bleibt nachdenklich stehn. Der Vorhang fällt.)



[1] Bis dahin muß die Musik immer zu hören sein.

Fámussoff, Chef einer Kronsbehörde.

Sophie, dessen Tochter.

Tschátzki, ihr Jugendfreund.

Moltschálin, Fámussoff’s Sekretair und in dessen Hause wohnend.

Lisette, Sophiens Kammermädchen und Vertraute.

Oberst Scalosúb.

Platón Góritscheff.

Natalie, dessen junge Frau.

Repetíloff.

Sagorétzki.

Mad. Chlestow, Fámussoff’s Schwägerin.

Die Gräfin Chrumin.

Deren Enkelin, eine unverheirathete Dame.

Fürst Tugoúchoffski.

Die Fürstin, dessen Gemahlin.

Die erste, zweite, dritte, vierte, fünfte, sechste Fürstliche Töchter.

Herr N.N.

Herr D.

Gäste beiderlei Geschlechts, Diener, Lakeien &c.

Das Stück spielt in Moscau, im Hause Fámussoff’s, etwa zehn Jahre nach dem französischen Kriege.

Erster Akt.

Saal mit einer Mittel- und einer Seitenthür, die zu Sophiens Zimmer führt. Neben der Mittelthür steht eine hohe Wanduhr. Man hört anfänglich die Töne einer Flöte und eines Klaviers. Es ist früher Morgen.

Erste Scene.

Lisette

(Ist mitten im Zimmer auf einem Stuhl eingeschlafen. Sie erwacht, steht auf und sieht sich erstaunt um).

Es tagt? Wie schnell ist doch die Nacht vergangen!

Ich wollt zu Bett gehn gestern Abend — Nein!

Es hieß — Die Augen auf und schlafe ja nicht ein!

„Der Freund kommt her,“ erhalt dich munter,

Und fielst du auch vom Stuhl herunter!

Nun schlief ich eben ein, da fängt es an zu tagen; —

Ich muß es ihnen gleich nur sagen,

Die merken es sonst nie!

(Sie klopft an die Seitenthür.)

Nun meine Gnädigsten?! — Fräulein Sophie!

Ihr Abend dauert bis zum hellen, lichten Tage;

Ums Himmelswill’n, so hören Sie doch was ich sage!

Mein Fräulein! Herr Moltschálin! Sind Sie taub?

(Sie geht von der Thür weg.)

Die haben jede Furcht vergessen!

Nun wartet nur, ich glaube fast

Der Alte kommt noch her als ungebetner Gast.

Das ist ein Dienst bei Fräulein — bei verliebten!![1]

(Sie geht wieder zur Thür.)

So trennen Sie sich doch! — Es ist ja Morgens früh!

Wie?

Sophie (hinter der Scene).

Wie viel Uhr ist’s?

Lisette.

Das ganze Haus erwacht.

Sophie (wie oben).

Wie viel Uhr ist’s?

Lisette.

Sechs, sieben, acht!

Sophie (wie oben).

Das ist nicht wahr!

Lisette.

O Amor, du verwünschter Wicht!

Es ist doch klar,

Sie hören mich und können

Noch immer sich nicht trennen!

Und warum öffnen sie die Laden nicht?

(Sie wendet sich zur Uhr.)

Ich stell den Zeiger vor; ich weiß, es giebt Verdruß,

Allein ich muß!

Ich lasse alle Glocken spielen,

Denn wer nicht hören will — muß fühlen!

(Sie steigt auf einen Stuhl und stellt die Wanduhr, die zu spielen anfängt.)

Zweite Scene.

Lisette und Famussoff (im Schlafrock, tritt durch die Mittelthür ein, Lisette erschrickt und springt vom Stuhl herunter).

Lisette.

O je, der Herr!

Famussoff.

Der Herr, nun ja!

Du Naseweis — was machst Du da?

(Er hält das Glockenspiel an.)

Ich konnte den Spektakel nicht begreifen;

Das war ein Klingeln und ein Pfeifen!

Sophie — die konnt’s so früh nicht sein;

Bald klang’s wie ein Klavier und bald wie eine Flöte.

Das fiel mir wirklich gar nicht ein,

Daß Du es seist, Du kleine Kröte.

Lisette.

Ich weiß nicht recht, wie es geschehn —

Ich kam daran ganz aus Versehn.

Famussoff.

Ganz aus Versehn? — Vor euch nehm’ man sich nur in Acht.

Du that’st es sicher mit Bedacht.

(Er schäkert mit ihr.)

Du kleiner netter Schelm!

Lisette.

Ein Schelm sind Sie! Ich will das nicht!

Steht Ihnen das wohl zu Gesicht?

Famussoff.

O Tugendheldin, sei kein Kind!

Du hast im Kopf doch nichts als Wind.

Lisette.

Windbeutel selbst! Sie denken nicht daran,

Daß Sie ein alter Mann.

Famussoff.

Nun, ja,

Beinah’!

Lisette.

Und dann

Kommt wer, was fängt man an?

Famussoff.

Wer denn? Sophie schläft.

Lisette.

Erst eben schlief sie ein.

Famussoff.

Erst eben? Und die Nacht?

Lisette.

Das Fräulein las, und hat gewacht.

Famussoff.

Nun sieh’ mal was das für Manieren!

Lisette.

Französisch las sie laut bei festgeschlossnen Thüren.

Famussoff.

Sag ihr, sie soll sich nicht die Augen ruiniren.

Vom Lesen, muß ich frei gestehn,

Kann ich nicht großen Nutzen sehn:

Ihr raubt den Schlummer die französische Lectüre

Und mich — mich schläfert’s fürchterlich,

Sobald ich nur ein russisch Buch berühre.

Lisette.

Wenn sie erwacht, sag’ ich’s Fräulein Sophie,

Doch jetzo, bitt’ ich, gehen Sie!

Famussoff.

Warum?

Lisette.

Sie wecken sie.

Famussoff.

Wodurch sollt’ ich sie wecken?

Selbst läutet sie wahrhaftig zum Erschrecken

Mit ihrer Uhr, und trommelt aus der Ruh’

Die ganze Nachbarschaft mit ihrer Symphonie!

Lisette (sehr laut).

Ach hören Sie doch auf, ich bitte Sie!

Famussoff (hält ihr den Mund zu).

Still doch, so schrei nicht, bist Du ganz von Sinnen?

Lisette.

Ich fürcht’, wenn Sie noch länger bleiben, daß —

Famussoff.

Und was?

Lisette.

Ach Herr, Sie wissen’s doch, Sie sind kein Kind —

Wie leicht erweckt die jungen Mädchen sind,

Kaum geht die Thür, kaum flüstert man ein Wort,

Gleich ist der süße Morgenschlummer fort.

Und Alles hören sie.

Famussoff.

Ach, Alles dummes Zeug!

Sophie (hinter der Scene).

Lisette!

Lisette.

Gleich, mein Fräulein, gleich.

Famussoff.

St! (schleicht auf den Zehen fort.)

Lisette (allein).

Ach Gott, von unsern Herrn

Halt’ man am besten sich recht fern!

In jedem Augenblick ist man gewiß gewärtig,

Daß gleich ein neues Unglück fertig;

O wenn man doch von diesen beiden

Den größten Leiden

Verschont nur bliebe:

Von Herrenzorn und Herrenliebe!

Dritte Scene.

Lisette. Sophie (tritt mit einem Licht aus ihrem Zimmer), Moltschálin (folgt ihr).

Sophie.

Lisette, welch ein Lärm! was fällt Dir ein?

Lisette.

Die Trennung scheint recht schwer zu sein,

Verschlossen bis zum Tag, und doch nicht zur Genüge!

Sophie.

Wahrhaftig, es ist Tag!

(Sie löscht das Licht aus) Der Tag

Erschien — und auch der Kummer! — ach!

Wie doch die Nächte schnell vergehn!

Lisette.

Nur zu, Sie mögen sich beklagen,

Allein, das muß ich Ihnen sagen,

Für einen Dritten ists nicht auszustehn!

Der alte Herr war da

Und ich war einer Ohnmacht nah,

Ich wandt’ mich hin und her

Und log ihm vor die Kreuz und Quer.

(Zu Moltschalin) Und Sie, was bleiben Sie denn noch?

So machen Sie Ihren Bückling doch

Nur schnelle!

Das Herz steht nicht an rechter Stelle!

So sehn Sie nach der Uhr! Sie glauben, daß ich spaße!

Die ganze Welt ist längst schon auf der Straße!

Im Haus ist Alles schon erwacht,

Man fegt, in Ordnung wird das Haus gebracht,

Und Sie, Sie stehn noch da wie angebunden!

Sophie.

Ach Glückliche — die zählen nicht die Stunden!

Lisette.

Nur immer zu! Ei sicherlich

Ist’s angenehm, die Zeit sich zu versüßen;

Allein wer anders wohl als ich

Wird noch zuletzt für Alles büßen?

Sophie (zu Moltschálin).

So gehen Sie, wir müssen scheiden

Und einen ganzen Tag voll Langerweile leiden.

Lisette.

So lassen Sie die Hände doch nur fahren!

(sie trennt sie) Nun endlich, — laß uns Gott bewahren!

(Moltschálin geht ab; wie er bei der Mittelthür ist, öffnet sie sich und Famussoff tritt angekleidet herein, er bleibt stehn und sieht Moltschálin verwundert an.)

Vierte Scene.

Die Vorigen. Famussoff.

Famussoff.

Was tausend ist denn das? Sind Sie es wirklich?

Moltschálin (sehr verlegen).

Ja!

Famussoff.

Zu dieser Stunde hier?

(erblickt Sophie) Und auch Sophie? Ei guten Morgen

Sophie, Du bist auch da?

Was hast Du hier zu sorgen?

Wie hat Euch Gott zu dieser Stunde

So wunderlich zusammen hier gebracht?

Sophie.

Er kam herein in diesem Augenblick —

Moltschálin.

Von einer Promenade erst zurück

Trat eben ich ins Haus.

Famussoff.

Freund, hören Sie, es könnt nicht schaden,

Sie suchten sich zu Morgenpromenaden

Ein andres Gäßchen aus! —

Ei, Fräulein Tochter, ei, kaum aus dem Bett gesprungen

Zusammen gleich mit einem Herrn,

Mit einem jungen!

Sag, schickt sich das für Mädchen wohl von fern?

Des Nachts liest Du Romane und Gedichte,

Und das sind nun die saubern Früchte!

Das Alles nur kommt von der Schmiedebrücke

Und von den ewigen Franzosen her.

Da holen wir uns Moden, Musen, Dichter

Und ähnliches Gelichter,

Und drum ist Herz und Beutel leer!

Wann wird der Himmel uns erretten

Von ihren Hüten, Hauben, Ketten —

Von ihren Salben und Pomaden

Und den Bisquit und Bücherladen!!

Sophie.

Verzeihen Sie! Ich bin schon ganz benommen,

Und kann vor Ueberraschung nicht zu Athem kommen.

Sie traten ja so rasch und plötzlich ein —

Wie sollt’ ich nicht erschrocken sein?

Famussoff.

Ich danke ganz gehorsamst! — Ei wie fein!

Ich lief, ich hab’ erschreckt, ich kam so plötzlich!

Nicht wahr, das war von mir entsetzlich?

Ich, Fräulein Tochter, hab’ den ganzen Tag zu thun,

Da ist kein Rasten und kein Ruh’n;

Der Kopf ist mir vom Dienste wie benommen,

Es ist ein ew’ges Gehn und Kommen,

Und ich — auf dem schon Alles liegt,

Konnt ich erwarten, daß man mich betrügt?

Sophie (in Thränen).

Wie so mein Vater?

Famussoff.

Nicht geweint!

Gieb Acht, was ich Dir sage; freilich meint

Man immer, daß ich ohne Ursach schelte,

Doch, hör’ mich an, wenn ich Dir noch was gelte;

Man that von deiner Wiege an

Für Dich, was man nur irgend kann. —

Die Mutter starb; ich hatt’ die glückliche Idee

Und nahm in der Madame Rosier

Dir eine zweite Mutter dann

Für eine starke Gage an.

Die goldene Alte — folgte deinen Tritten —

Klug war sie, sanft, von tadellosen Sitten; —

— Wenn Eins nur nicht gewesen wär’!

Eins habe ich ihr sehr verdacht:

Durch nur fünfhundert Rubel jährlich mehr

Ward sie uns abspenstig gemacht! —

Doch lassen wir Madam’ — an der da lag es nicht.

Was brauchst Du anderer Exempel?

Mein Haus gleicht einem Tugendtempel,

Des Vaters Beispiel lehrt Dir Pflicht!

Da — schau mich einmal an!

Ich sage nicht, ich sei ein junger Mann

An Jahren, —

Doch bin ich frisch bei meinen grauen Haaren,

Dazu bin ich doch Wittwer, bin doch frei,

Herr meiner Handlungen dabei!

Und dennoch leb’ ich so, daß jeder, der mich kennt,

Mein Leben exemplarisch nennt.

Lisette.

Doch dürft’ ich fragen, Herr, wie’s —

Famussoff.

Schweig’!

Ein schreckliches Jahrhundert! —

Allein — was ist man so verwundert,

Daß Alles altklug jetzt und weise vor den Jahren,

Und unsere Töchter ganz voran,

So daß man sie vor Thorheit und Gefahren

Mit Müh’ und Noth kaum schützen kann.

Wir Einfaltspinsel!

Wir haben selbst das Unglück uns gebracht,

Ja! — Die Manie zum fränkischen Gewinsel,

Die fremden Sprachen haben das gemacht.

Landstreicher nimmt man heutzutag ins Haus —

Die Herrchen sollen Alles lehren

Dem Töchterchen — Tanz und Gesang,

Mit Seufzern und mit Seelendrang

Und Ziererei —

Gott steh uns bei!

Man möchte schwören,

Daß wir sie auferziehen traun!

Zu nichts als zu Seiltänzer-Fraun.

(Er wendet sich zu Moltschálin.)

Und nun zu Ihnen, junger Fant: —

So also wird die Güte anerkannt?

Ein schöner Dank!

Bedenken Sie doch Ihren Lebenslauf!

Wer hob Sie aus dem Plebs herauf?

Wer schaffte Ihnen den Assessorrang?

Wer machte Sie zum Secretair?

Wer führte Sie nach Moskau über?

Ich war’s — und ohne mich, mein Lieber,

Versauert wären Sie in Ihrem Twer!

Sophie.

Wozu, mein Vater, zählen Sie das her?

Wozu der Streit —

Um eine Kleinigkeit?

Moltschálin wohnt im Hause hier —

Er tritt herein und irrt sich in der Thür.

Famussoff.

Er irrt’ sich, oder wollte er sich irren?

Wie aber kam’st denn Du zu gleicher Zeit herein?

Das kann nicht bloßer Zufall sein.

Sophie.

Sie sollen das sogleich erfahren:

Als Sie hier erst mit Lisa waren

Hat Ihr Gespräch mich aus dem Schlaf erweckt,

Und darum rannt’ ich her, ganz ungemein erschreckt.

Famussoff.

Am Ende kommt’s heraus, daß mir die Schuld gehört,

Ich habe sie, wie’s scheint, zur Unzeit hier gestört!

Sophie.

Die größte Kleinigkeit, ein Wort — geflüstert kaum —

Kann aus unruh’gem Schlaf mich wecken;

Wenn ich erzählte meinen Traum,

Verständen Sie auch meinen Schrecken.

Famussoff.

Ein neu Histörchen?

Sophie.

Was ich sah’

Im Traum, soll ich’s erzählen?

Famussoff.

Nun, ja, ja! (er setzt sich.)

Sophie.

Ja — sehen Sie — ich stand von Blumen rings umblüht

Auf einer Flur — und war bemüht

Ein Kraut zu suchen; — müht’ mich sehr —

Doch welch ein Kraut es war, das weiß ich jetzt nicht mehr;

Da, — plötzlich — tritt ein junger Mann

Zu mir heran!

Ganz offenbar gehörte er zu Denen,

An die wir uns beim ersten Blick gewöhnen,

Und so — als wären wir von Ewigkeit bekannt.

Wir wurden ganz vertraut, — er war gewandt,

Einschmeichelnd, und er zeigte viel Verstand,

Doch war er schüchtern — wie — Sie wissen alle sind

Die arm geboren.

Famussoff.

Halt mein Kind,

Um’s Himmelswill’n geh weiter nicht,

Für Dich passt doch kein armer Wicht!

Sophie.

Doch schnell war Himmel, so wie Flur verschwunden;

Wir haben plötzlich uns

In einem dunklen Raum gefunden,

Und denken Sie, wie wunderbar!

Der Boden öffnet sich — und Sie mit struppigem Haar,

Blaß wie der Tod — Sie steigen draus empor.

Nun riß sich donnernd auf ein Thor,

Und Ungeheuer, weder Mensch noch Thier,

Ergriffen ihn, der neben mir.

Sie quälten ihn, der all mein Lebensglück —

Ich will zu ihm — sie halten mich zurück —

Geschrei und Röcheln, wie ein Höllenchor

Trifft mit Gewalt mein banges Ohr —

Er ruft mir aus der Weite — fern,

Ich will zu ihm so gern, so gern —

Da wach’ ich auf! man spricht — es waren Sie!

Wie — denke ich — der Vater hier so früh?

Ich eile her und find’ Sie alle beide. —

Famussoff (nach einer kurzen Pause).

Ja freilich, dieser Traum war schlecht;

Da ist so allerlei, betrachtet man ihn recht,

Ein bischen Lüge, ohne Zweifel

Und Liebe, Blumen, Schreck und Teufel!

(Zu Moltschalin) Doch Sie Mosje?

Moltschálin.

Ich hörte Ihre Stimme, —

Famussoff.

Nun das ist gut! —

Was doch so eine Stimme thut!

Sie haben Alle sie gehört

Und sind vor Tagesanbruch aufgestört,

Sie suchten also mich? Was kann Sie zu mir führen?

Moltschálin.

Ich komme mit Papieren. —

Famussoff (springt auf).

Dacht’ ich’s doch,

Das fehlte mir gerade noch!

Mein Gott, Sie sind ja wie versessen

Mit Einemmal auf Schreiberein?

(Zu Sophie.)

Nun, Töchterchen, wir wollen das vergessen!

Zwar können Träume seltsam sein,

Doch in der Wirklichkeit hört man von Dingen,

Die oft viel seltsamer noch klingen,

Als das, was uns im Traum erscheint.

Statt eines Kräutleins fand’st Du einen Freund,

Doch schlage Dir das dumme Zeug

Nur aus dem Sinne gleich.

Das Wunderliche hat nur selten Sinn,

Drum geh’ hinein und leg’ Dich wieder hin.

(Zu Moltschálin.)

Wir wollen gehn

Um die Papiere durchzusehn.

Moltschálin.

Ich bracht’ sie eben dazu her,

Denn sie bedürfen dessen sehr:

Sie widersprechen sich und sind nicht in der Form.

Famussoff.

Herr Sekretair — das nehmen Sie zur Norm:

Eins fürcht’ ich wie die Pest —

Wenn man sich Schriften häufen läßt.

Doch würdet Ihr nur Euren Willen haben,

Man säße in Papier begraben.

Drum merken Sie sich dieses Wort:

Was unterzeichnet ist, muß fort!

Ob’s richtig, ob es falsch auch sei,

Mir einerlei! —

(Gehen ab, an der Thür läßt Famussoff den Moltschálin vorangehen).

Fünfte Scene.

Sophie. Lisette.

Lisette.

Da haben Sie’s! Das sind die Früchte!

Nun, eine saubere Geschichte!

Doch Scherz bei Seit’, das war’ nicht gut,

Ich bin ganz hin und mir ist schlecht zu Muth.

Ein Fehler ist ja doch nicht „alle Welt“ —

Doch schlimm ist’s, wenn die Leute davon reden.

Sophie.

Mir einerlei, frei steht das einem jeden,

Und schwatzen mag er, wie es ihm gefällt.

Allein, der Vater wird uns was zu schaffen machen;

Er ist so heftig und so rauh in solchen Sachen,

Und so war’s immer,

Allein von jetzt an wird’s gewiß noch täglich schlimmer.

Lisette.

Ich seh’s ja; es ist Gott zu klagen!

Ich urtheil’ nicht nach Hörensagen;

Drum — denken wir an alle Fälle:

Sperrt er Sie ein und bleib’ ich nur zur Stelle,

So steht die Sache immer noch ganz gut,

Doch, Gott bewahr’, wollt’ er in seiner Wuth

Mich und Moltschálin aus dem Hause jagen

Dann wären Sie doch wirklich zu beklagen!

Sophie.

Sieh’, ist das Schicksal nicht voll Eigensinn!

Was Schlimmres geht uns oft so hin,

Und schlimm geht’s wo wir gar nichts ahnen!

Sanft floß die Zeit in dem Genuß der Kunst,

Wir standen — schien’s — beim Schicksal recht in Gunst,

Nicht Bangen noch Besorgniß fühlten wir,

Und sieh’ — das Unglück saß schon vor der Thür!

Lisette.

Das kommt davon! — Sie haben leider nie

Auf mich gehört und nun — nun sehen Sie! —

Was braucht es besserer Propheten?

Sie müssen dies Gefühl in Ihrem Herzen tödten.

Ich sage Ihnen: hier auf Erden

Wird draus in Ewigkeit nichts werden!

Ihr Vater ist gerade so gesinnt

Wie’s Alle hier in Moskau sind:

Zum Schwiegersohne hätt’ er einen gern

Mit hohem Rang und Ordensstern;

Doch trotz der Sterne und der Ränge

Ist mancher dennoch in der Enge,

Drum sucht er Ihnen auch noch einen reichen Mann,

Der Aufwand macht und Bälle geben kann;

Zum Beispiel: Scalosub gehört zu dieser Zahl —

Ein Sack mit Gold gefüllt und nächstens General.

Sophie.

Das wäre schön! Ein solcher fehlt mir g’rade!

Er kennt ja nichts als Reih’n und Fronten und Parade.

So ein Kamaschenheld!

Aus seinem Mund, so lang er auf der Welt

Kam nie ein kluges Wort;

Geh’ mir mit Deinem Oberst fort!

Ins Wasser springen — ihn zum Ehgemahl,

Das wär’ mir beides gleich fatal.

Lisette.

Nun ja, er schwatzt und hat das Pulver nicht erfunden,

Doch sagen Sie mir unumwunden:

Wer hier wohl von Civil und Militair

Beredter, witziger und feiner wär

Als Tschatzki — nun — ich wollte Sie nicht necken —

Das ist nun längst vorbei, Gott weiß, wo er mag stecken —

Doch die Erinnerung —

Sophie.

Oh, ich erinnere mich:

Die Leute zu verspotten wußt’ er meisterlich!

Er amüsirte mich — er wußte Spaß zu machen;

Mit jedem kann man ja zusammen lachen.

Lisette.

Nur lachen? Ach, als er hier Abschied nahm,

Schwamm er in Thränen ganz, als er von Ihnen kam.

Ich sprach ihm zu: Was weinen Sie denn so?

Sie reisen doch und sind nicht froh!

„Ich weine, Lischen, nicht umsonst“ sprach er,

„Die Trennung fällt mir, ach, so schwer!

„Kehr ich zurück, was steht mir dann bevor,

„Wer weiß zu sagen wohl, was ich alsdann verlor!“

Der arme Herr, ihm ahnt’, daß in drei Jahren —

Sophie.

Du könntest besser Deine Zunge wahren!

Ich geb’ es zu, daß ich vielleicht

Ihn allzuschnell vergessen;

Leicht handelt’ ich — indessen

Sag mir frei,

Wem brach ich je die Treu’?

Mit Tschatzki — freilich — bin ich auferzogen,

Wir waren uns als Kinder recht gewogen,

Beisammen stets, zu allen Stunden,

Und durch Gewohnheit schon verbunden.

Doch später endete der Frieden,

Es kam mir vor, als hätt’ er uns gemieden.

Es schien ihm hier nicht zu behagen,

Und selten kam er noch ins Haus —

Dann kam er plötzlich wieder — führte Klagen

Und sah verliebt und melancholisch aus.

Er war von Witz und Schwermuth die Vereinung,

Und scharf war für die Schwächen Anderer sein Blick;

Doch hatt’ er in der Freundschaft sehr viel Glück

Und drum von sich die höchste Meinung.

Und wie veränderlich war nicht sein Sinn!

Die Lust zu reisen riß ihn plötzlich hin.

Ach, wer uns wirklich liebt, der sucht nicht weiter Geist

Und bleibt so lang nicht fort!

Lisette.

Wo ist er hingereist?

In welchem Land, an welchem Ort?

Man sagte er curirt sich auf den Wässern;

Krank ist er nicht —

Er mögte wohl die Laune sich verbessern.

Sophie.

Gewiß, dort ist er froh, wo Lächerliche sind!

Der, den ich liebe, ist nicht so gesinnt;

Der opfert sich für Andere mit Freuden,

Stets artig ist er, stets bescheiden.

Respectvoll ist er, niemals kühn —

Verwegen sah ich niemals ihn.

Er nimmt die Hand mir, drückt sie dann und wann

An’s volle Herz;

Dann seufzt er, recht aus tiefster Seele —

Allein kein freier Scherz

Kommt über seine Lippen. — Ich erzähle

Die Wahrheit Dir; wir sitzen Hand in Hand

Und blicken uns ins Auge unverwandt.

(Lisette lacht) Du lachst! warum? Sag’, welch ein Grund

Ist hier, aus vollem Halse so zu lachen?

Lisette.

Ach Gott, das Lachen ist gesund;

Ich lachte über andre Sachen:

An Ihre Tante hab’ ich grad gedacht,

Und über sie hab’ ich gelacht:

Der Schmerz der Guten war so tief,

Als der Franzose von ihr lief;

Das Täubchen wollte vor Verzweiflung sterben,

Ihr Haar zu färben

Vergaß sogar die arme Frau

Und in drei Tagen — war sie grau!

(Sie lacht.)

Sophie (verdrießlich).

Solch dummes Zeug wird man von mir auch sagen!

Lisette.

Verzeihen Sie, das wird wohl Niemand wagen,

Ich hatte mir nur vorgenommen

Nach so viel ärgerlichen Dingen

Zum Lachen etwas Sie zu bringen.

Sechste Scene.

Die Vorigen. Ein Diener.

Diener.

Herr Tschatzki ist so eben angekommen.

(Ab.)

Siebente Scene.

Die Vorigen. Tschatzki.

Tschatzki.

Kaum tagt’s — und ich bin da und lieg’ zu Ihren Füßen!

(Küßt ihr die Hand mit Feuer.)

Was giebt’s? Sie wollen mich nicht wieder küssen? —

Sie haben mich erwartet? Nicht?

Sind sie erfreut? — Ach nein! — Sehn Sie mir ins Gesicht!

Sie sind verwirrt! — Nichts mehr? — Welch ein Empfang?

Als ob die Trennung keine Woche lang!

Als ob wir gestern uns zu zweien

Auf’s schrecklichste gelangweilt hätten.

Kein Fünkchen Liebe, wie? Und ich — der hundert Meilen

Durchflog in Sturm und Wetter ohne Weilen —

Ich, voller Sehnsucht und mit Herzensbeben —

Ich stürme her auf Tod und Leben —

Wie oft warf nicht der Schlitten mit mir um —

Nicht schloß mein Auge sich in fünf und vierzig Stunden,

Und die Belohnung hat mein Heldenmuth gefunden!

Sophie.

Ach Tschatzki, wie mich’s freut, Sie wieder hier zu sehn!

Tschatzki.

Sie sind erfreut? Ei das ist schön!

Doch muß ich aufrichtig gestehn:

Die Freude pflegt wohl anders auszusehn!

Mir scheint es fast zuletzt,

Als ob mein Jagen

Und Pferd- und Leute-Plagen

Mich wohl nur ganz allein ergötzt!

Lisette.

Wenn Sie gelauscht doch an der Thür —

Bei Gott, vor fünf Minuten sprachen wir

Von Ihnen noch! Das Fräulein wird es sagen!

Nicht wahr? Hier sprachen wir, in diesem Zimmer?

Sophie (ironisch).

Und nicht nur jetzt, nein — immer!

Sie haben keinen Grund zu klagen,

Denn Niemand konnt’ vom Ausland kommen,

Den ich um Nachricht nicht befragt:

Ob er von Ihnen nichts vernommen?

Doch Niemand hat mir was gesagt.

Wer nur besuchte unser Haus,

Selbst Weltumsegler fragt’ ich aus,

Ob man Sie nicht gesehen hätte

In — irgend einer Postcarette!

Tschatzki.

Schon gut, es mag drum sein!

Beglückt wer glaubt, ihm geht es wohl auf Erden! —

Mein Gott! So ist es wahr, daß ich zurück!

Daß ich durchflog so weite Räume!

Daß ich Sie fand, doch nicht den alten Blick

Aus jener Zeit der Jugendträume?

Wo sind die Stunden hin, wo wir noch spielten

Und nichts als Lust im Busen fühlten!!

Hier pflegten wir uns zu verstecken,

Das war ein Lärmen, war ein Necken;

Wir sprangen über Stuhl und Bett —

Ihr Vater spielte dort Piquet

Mit Ihrer alten, guten Bonne,

Und in dem dunkeln Winkel — hier —

Da saßen oft als frohe Kinder wir,

Und schreckten auf beim Knarren jeder Thür;

O Kinderzeit, o Zeit der Wonne!

Sophie.

Ja — Kinderei’n!

Tschatzki.

Ja, Zeiten die da waren!

Sie wuchsen auf! — Mit siebzehn Jahren

Sind Sie jetzt unvergleichlich schön,

Und wissen es, das müssen Sie gestehn,

Und darum schau’n Sie sittsam Niemand an.

Sind Sie verliebt? Und wär’s mein Tod,

O, sagen Sie es schnell! Sie werden roth?!

Sophie.

Wer würde nicht verlegen werden

Bei solchen Fragen und Geberden?

Tschatzki.

So bitt’ ich Sie, mir doch zu sagen:

Wonach sollt’ ich in Moskau sonst wohl fragen?

Es herrscht doch stets das alte Einerlei;

Ein Ball ist heute, morgen zwei.

Der feiert Hochzeit, einem ist’s gelungen —

Ein andrer hat sich einen Korb errungen.

Die alte, ewige Geschichte,

Und in den Stammbüchern die nämlichen Gedichte! —

Sophie.

Das arme Moskau! Ja, das kommt vom Reisen her!

Wo ist das Wunderland, wo es denn besser wär?

Tschatzki.

Wo wir nicht sind! — Ach sagen Sie mir doch:

Was macht Ihr Vater? Ist er noch

Dem Clubb, dem Englischen nach hies’gem Brauch

Stets treu ergeben bis zum letzten Hauch?

Und dann Ihr Ohm, sieht man ihn stets auf Bällen schweben?

Wie? Oder hat er endlich ausgetanzt?

Und Jener, nun, mit dem Zigeunerteint?

Ein Türke oder Griech’ — Sie wissen, wen ich meine —

Er hatte wie ein Storch, so schrecklich lange Beine —

Er war allüberall zu sehen

Auf Bällen und auf Assemblee’n,

Und ganz besonders immer

In jedem Speisezimmer? —

Und dann die drei Lion’s vom Boulevard?

Die jungen Herrn seit funfzig Jahr!

Die Ueberreichen — an Verwandten;

Ich glaube sicherlich,

Daß an der Million nur wen’ge fehlten,

Da sie, durch ihrer Schwestern Hülfe, sich

Verwandt mit ganz Europa zählten. —

Nun dann — und unsere Theatersonne!

Der edle Mann, der keine höhere Wonne

Als Maskarad’ und Schauspiel hat!

Die Worte standen stets auf seiner Stirn geschrieben;

Wo ist der Treffliche geblieben?

Sein Haus war grün gemalt, wie ein Zigeunerlager,

Er war der größte Fettwanst in der Stadt,

Doch seine Künstler waren — mager!

Auf einem Ball bei ihm, da stand,

Erinnern Sie’s? verborgen hinter einer Wand

Ein Kerl dem er befohlen

Zu trillern und zu johlen

Wie eine Nachtigall;

Er sollt’ uns von dem Ball

Wohl in den Lenz versetzen;

Ein herrliches Ergötzen!

Die Nachtigall, die Sängerin der Haine,

Auf einem Ball beim Lampenscheine!

Und Ihr schwindsücht’ger Vetter da, der Bücherfeind,

Der einst in dem gelehrten Comité erscheint

Und mit Geschrei und Eidschwur wollte,

Daß niemand lesen oder schreiben lernen sollte.

Die Alle soll ich wiedersehn!!

Die Plage ist kaum auszustehn. —

Doch Fehl und Flecken

Kann man bei jedem wohl entdecken,

Und wer nach Hause kehret, dem

Ist auch

Der Rauch

Der Heimath süß und angenehm.

Sophie.

Ich säh’ Sie einmal gern mit meiner Tante

Um durchzuhecheln sämmtliche Bekannte.

Tschatzki.

Das Hoffräulein, noch aus Cathrina’s Zeit,

Die ganz Minerva’s Dienste sich geweiht!

Ich glaub’ sie war in ihrem ganzen Leben

Von kleinen Mädchen nur und Möpsen rings umgeben.

Doch à propos! Wie ist denn jetzt die Lehrmethode?

Ist es noch immer Mode

Ein Regiment von Lehrern aufzuweisen,

An Zahl vollauf, doch billigst in den Preisen?

Und nicht, als ob sie viel grad’ brauchten zu versteh’n:

Befohlen ist’s — bei hohen Strafen

Historiker und Geographen

In jedem hergelauf’nen Wicht zu sehn.

Erinnern Sie sich jenes Alten

Der unser Mentor war? Er pflegte so zu halten

Den Zeigefinger ausgereckt —

Fast einem Wegeweiser zu vergleichen, und Rock und Käppchen der Gelahrtheit Zeichen!

Wie oft hat er als Kinder uns erschreckt!

Wie haben wir das oft vernommen,

Nur von dem Ausland könnt’ das Heil uns kommen.

Wie sind wir überzeugt, wir armen Thoren,

Daß ohne Deutsche wir ganz rettungslos verloren!

Und der Franzose Guillaumé

Ganz Luft und Wind,

Knüpft er noch nicht das Band der Eh’

Mit irgend einem schönen Kind?

Sophie.

Mit wem?

Tschatzki.

Nun jede Fürstin, zum Exempel

Die gute Fürstin Julia

Ging’ gern mit ihm in Hymens Tempel.

Sophie.

Tanzmeister ist er ja!

Tschatzki.

Und Ritter! Ja! — Von uns verlangt die Welt

Geburt, Erziehung, Rang und Geld —

Doch Guillaumé ...

Wie ist der Ton denn heut zu Tage?

Herrscht noch das Sprachgewirr, die alte Ohrenplage?

Wird noch — selbst auf der kleinsten Assemblee

Und von den Gästen

Bei Kirchweih-Festen

Französisch stets in Brocken aufgetischt?

Sophie (zerstreut).

Ein Sprachgewirr?

Tschatzki.

Zwei werden wenigstens gemischt.

Lisette.

Nun, nun, es wär’ doch schwer

Aus allen beiden Sprachen

Etwas zu machen,

Was Ihrer Sprache ähnlich wär’.

Tschatzki.

Ei, schwülstig spreche ich doch nie? —

Da haben wir’s — da sehen Sie,

Ich nutze die Minuten!

Durch Ihren Anblick ganz in Gluthen

Kam ich in’s tausendste hinein,

Und gleich läßt man mich schwatzhaft sein.

Doch weiß ich, daß es Zeiten gab

Wo ich verschlossen wie ein Grab,

Wo ich noch ärmer schien an Geist,

Als Ihres Vaters Secretair,

Moltschálin — oder wie er heißt —

Das stille Männchen da aus Twer,

Der stets so artig und geschniegelt!

Hat er sein Schweigen endlich jetzt entsiegelt?

Wo er ein Heft mit neuen Liedchen fand,

War er gleich höflich bei der Hand —

Bat um Erlaubniß sie sich abzuschreiben;

Doch steigen freilich jetzt auch solcherlei Naturen,

Denn heut zu Tage liebt man stumme Creaturen.

Sophie (bei Seite).

O, diese Schlange!

(laut und gereizt) Ach, ich wollt’ Sie fragen:

Ist’s Ihnen wohl passirt, im Ernste oder Scherz

Von Jemand — im Versehn — was Gutes wohl zu sagen?

Wenn auch nicht jetzt, vielleicht in Ihrer Jugend?

Tschatzki.

Was weiß man da von Lastern und von Tugend?

Wozu so weit zurück? Ist es ein schlechter Zug,

Daß ich durch Sturm und Steppen, Tag und Nacht,

Selbst mit Gefahr des Lebens,

Zu Ihnen her den weiten Weg gemacht?

Und Alles, ach, vergebens! —

Wie sind Sie stolz und kalt!

Ich schau’ Sie an seit einer halben Stunde —

Verloren in die liebliche Gestalt —

Und ach, nur stärker blutet meine Wunde!

(Kleine Pause.)

Erlauben Sie mir diese Frage:

Ist wirklich Alles beißend was ich sage?

Und können Sie den Vorwurf auf mich laden,

Als wollt’ ich jemand dadurch schaden?

Wahrhaftig, wenn mein Mund vielleicht auch so gesprochen,

So hat mein Herz doch nichts verbrochen,

Das Wunderliche pfleg’ ich zu belachen,

Doch werd’ ich ein Geschäft daraus mir niemals machen!

Gebieten Sie ins Feuer mir zu gehn

Für Sie, — mit Freuden soll’s geschehn.

Sophie.

Nun gut, — verbrennen Sie!

Doch wenn’s mißlänge? — wie?

Achte Scene.

Die Vorigen. Famussoff.

Famussoff (in der Thür).

Da haben wir’s, da steht der Zweite!

Sophie.

Ach Väterchen, der Traum von heute!

(Geht ab, Lisette folgt.)

Famussoff (bei Seite).

Verdammter Traum!

Neunte Scene.

Famussoff. Tschatzki (sieht Sophien nach).

Famussoff.

Nun sag’, was hast Du denn getrieben?

Wie, in drei Jahren nicht ein Wort geschrieben,

Und plötzlich fällst Du wie vom Himmel nieder!

(Umarmt ihn.)

Nun, sei willkommen Freund, willkommen!

Du alter Junge, Du!

Jetzt haben wir Dich wieder!

Nun, Abentheuer konnten Dir nicht fehlen,

Da setze Dich, und nun mußt Du erzählen.

(Sie setzen sich.)

Tschatzki (nachdenklich).

Wie ist doch Ihre Tochter schön!

Famussoff.

Ihr junges Volk wißt auf nichts anderes zu sehn,

Als darauf, ob die Mädchen schön.

Da hat sie etwas obenhin gesagt,

Was Deiner Eigenliebe gleich behagt;

Doch Hoffnung hat schon oft betrogen!

Tschatzki.

Mich hat sie wahrlich nicht verzogen.

Famussoff.

Der Traum von heute — sagte sie —

Und Du, Du grübelst nach, ich wette,

Was denn Sophie

Geträumt wohl hätte?

Tschatzki.

Ich grüble nicht, es fiel mir niemals ein,

Den Sinn von Träumen auszulegen.

Famussoff.

Freund, traue nicht den Frauen!

Tschatzki.

Nur meinen Augen will ich trauen,

Und das muß offenherzig ich gestehn,

Das Fräulein ist ganz unvergleichlich schön!

Famussoff (bei Seite).

Er ist davon nicht abzubringen!

(laut) Doch sage mir vor allen Dingen:

Wo warst Du denn die ganze Zeit?

Drei Jahre fort, das will was heißen!

Tschatzki.

Unmöglich kann ich jetzt erzählen!

Die ganze Welt wollt’ ich durchreisen

Und kam nicht tausend Stunden weit.

(Steht schnell auf.)

Ich muß jetzt fort — durchaus —

Ich eilte her und war noch nicht zu Haus.

Nach einer Stunde komm’ ich wieder,

Dann setzen wir uns traulich nieder,

An Abentheuern soll es dann nicht fehlen —

Sie können sie dann aller Welt erzählen.

(Im Abgehen zu Sophiens Zimmer gewendet:)

Wie ist sie schön!

(Ab.)

Zehnte Scene.

Famussoff (allein).

Wer ist’s nun von den Zwei’n?

„Ach Väterchen, der Traum trifft ein,“

Und sagt’s mir laut! Ei, ei, ich muß gestehn

Ich habe mich versehn!

Ich habe einen Bock geschossen,

Und auf Moltschálin meine Galle erst ergossen,

Doch jetzt heißt’s: Aus dem Regen in die Traufe! —

Der ist ein Bettler, der als Seladon bekannt

Und als ein Muthwill und Verschwender

Bei Jung und Alt im ganzen Land! —

Was machen uns — Herr du Gerechter! —

Für Plagen doch erwachs’ne Töchter!

(Bleibt nachdenklich stehn. Der Vorhang fällt.)



[1] Bis dahin muß die Musik immer zu hören sein.



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